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Nachtrag
Nachtrag
Als ich am 4. Mai noch einmal zur Gedenkstätte im Grünen Grund ging, hatten dort inzwischen noch mehr Menschen mit Blumen der kampflosen Übergabe der Stadt und der Befreiung des KZ-Außenlagers Roederhof durch die Rote Armee gedacht. Ich entdeckte auch eine Karte mit der Flagge der Niederlande auf Halbmast, an deren Fahnenstange der rote Winkel der politischen Gefangenen angebracht war. Auf der Karte lag ein Stein. "niemals vergessen" stand auf der Rückseite und sie war an Wam Kat gerichtet, an jenen Wam Kat, der im vergangenen Jahr auf unserer Gedenveranstaltung am 3. Mai 19 seine so persönliche und berührende Rede hielt.
So fragte ich ihn, ob er mir nicht die Geschichte zu dieser Karte erzählen würde. (Inge Richter, Förderkreis Roederhof)
Und Wam schrieb mir:
Es ist so eine Selbstverpflichtung, dass ich seit Jahren täglich ein Playmobilfoto mache und ins Internet stelle, inzwischen sind es schon 1976 ohne Unterbrechung.
Am 4. Mai ist in den Niederlanden der Gedenktag mit dem offiziellen Gedenken am Dam in Amsterdam. Seit mein Vater 1975 gestorben ist, wird meine Mutter dazu eingeladen, seinen Platz einzunehmen. Denn nach dem Ende des Krieges gab es auf einmal ganz viele "Widerstanskämpfer". So gründeten die wahren Widerständler eine Stiftung für Menschen, die nachweisbar im Widerstand waren. Diese Stiftung unterstützt Widerständler, die durch den Krieg arbeitsunfähig wurden. Sie zahlen meiner Mutter zum Beispiel eine Witwenrente.
In diesem Jahr wollte ich gemeinsam mit meiner Mutter zu diesem Gedenken gehen. Die Corona-Pandemie machte dieses Vorhaben zunichte. So bastelte ich die Karte und schickte sie meiner Mutter. Aber auch ich wollte am 3. Mai im Grünen Grund nicht mit leeren Händen stehen. So schickte ich mir selbst eine Karte und legte sie mit 6 Steinen, je einen Stein für eine Million ermordeter Juden, am Gedenkstein nieder. Am 5. Mai, das ist der Tag der Befreiung in den Niederlanden, ein Feiertag, war meine Mutter zum Empfang für Menschen des Widerstandes gegen Hitler in das Rathaus von Maastricht eingeladen. Vor dem Rathaus demonstrierten Corona-Widerständler gegen die Coronamaßnahmen und gegen eine angebliche Impfpflicht. Dazu hatten sie das Tor von Auschwitz nachgebaut und in deutsch "Impfen macht frei" darauf geschrieben. Sie liefen mit einem Maulkorb statt mit Mundschutz herum und trugen auf der Brust einen Davidstern mit der Aufschrift "nicht geimpft"!.Als meine Mutter das sah, brach sie weinend zusammen. Sie hatte genau vor 75 Jahren den Davidstern von ihrer Kleidung entfernt. Für sie kam die Befreiung rechtzeitig. Sie wurde nicht mehr deportiert. Sie hatte Glück.Und dann muß sie an so einem Gedenktag diesen Mißbrau der Symbolik durch die Corona-Gegner erleben und wird auch noch als hysterisch bezeichnet. Freunde brachten sie nach Haus. Ich habe mit ihr inzwischen ein sehr emotionales und langes Telefongespräch geführt.
Gleichzeitig erhielt ich von Gretchen Klotz, der Witwe von Rudi Dutschke, einen Anruf. Sie hatte bereits am 1. Mai vor der Volksbühne in Berlin ebensolche Gegendemonstranten mit Davidstern erlebt, auf dem Platz, von dem während des Faschismus Juden in die Konzentrationslager abtransportiert wurden.
Das ist die Geschichte der Karte mit den 6 Steinen am Gedenkstein im Grünen Grund, liebe Inge.
Wam